Zahnkaninchen

 

 

THP 3_23_final_Zahnkaninchen. (PDF- Artikel „Zahnkaninchen“

 

Zahnkaninchen oder auch „Zahni´s“ genannt, sind Kaninchen die Zahnprobleme haben und einer regelmässigen Zahnpflege bedürfen.

Aber woher kommen die Zahnprobleme bei Kaninchen eigentlich?
Um dem auf den Grund zu gehen muss man sich erstmal die Anatomie des Kaninchenschädels anschauen.

Anatomie

Kaninchenschädel

Die Zähne von Kaninchen wachsen ständig nach, es handelt sich um sogenannte elodonte Zähne. Sie sind in gesundem Zustand reinweiss, haben eine offene Wurzel und die oberen Schneidezähne weisen eine Längsfurche auf. Sollten diese Querrillen aufweisen ist das ein Zeichen für eine Erkrankung.

Der Zahnwechsel vom Milchzahngebiss zum Erwachsenengebiss erfolgt im Alter von etwa 4-5 Wochen.

Die Zahnformel des bleibenden Gebisses:

Oberkiefer:   2I 0C 3P 3M
Unterkiefer: 1I 0C 2P 3M

Ein erwachsendes Kaninchen hat also 28 Zähne.

Im Oberkiefer auf jeder Seite 2 Incisivi (Schneidezähne), keine Canini (Eckzähne), 3 Prämolare (vordere Backenzähne) und 3 Molare (hintere Backenzähne). Die Besonderheit bei Kaninchen und allen Hasenartigen (Lagomorpha) sind die Stiftzähne, ein zweites paar kleine Schneidezähne die hinter den vorderen Schneidezähnen liegen.

Im Unterkiefer auf jeder Seite 1 Incisivus (Schneidezahn), keine Canini, 2 Prämolare und 3 Molare.

Die Zähne der Kaninchen haben einen offenen Zahnkanal und wachsen pro Woche ca. 2-3,5mm, was im Monat in etwa 1 cm ergibt, wobei die Schneidezähne etwas schneller wachsen als die Backenzähne. Es ist also von entscheidender Bedeutung für ein gesundes Zahnwachstum, daß sich die Zähne physiologisch abnutzen.

Die Abnutzung entsteht bei einem gesunden Kaninchen ganz automatisch durch die Kaubewegungen. Bei Kaninchen ist der Oberkiefer breiter als der Unterkiefer (Anisognathie), beim zerkleinern der Nahrung mahlen sie das Futter mit den Backenzähnen klein, wodurch dieses niedliche „mümmeln“ entsteht.

Die Okklusalfächen (die Oberfläche der Zähne) ist leicht nach aussen geneigt und die Zähne schärfen sich durch das Kauen automatisch nach.

Die Zähne der Kaninchen sind in Relation zu ihrem Schädel relativ groß und die Wurzeln wachsen bis in die Nähe des Tränen-Nasen-Kanals, der Augenhöhle und des Unterkieferknochens.

Ändert sich nun durch falsches Kauverhalten, sei es durch Schmerzen oder durch falsches Futter bedingt, die Kaubewegung nutzen sich die Zähne nicht mehr physiologisch ab und es kommt zu krankhaftem Zahnwachstum. Dies kann sowohl die Kauflächen und die Wurzeln der Backenzähne als auch das Wachstum der Schneidezähne betreffen.

Pathologie

Bei den hier gezeigten Bildern sieht man einmal ein physiologisches Kaninchengebiss mit gesunden Zähnen.

gesundes Gebiss eines Hauskaninchens

 

krankes Gebiss eines Widderkaninchens

Auf der anderen Seite den Schädel eines Widderkaninchens, welchem bereits ein Zahn fehlt im linken Oberkiefer. Auch erkennt man sehr gut die schräg abgenutzten Schneidezähne.

die schräg abgenutzten Schneidezähen sind gut zu erkennen.

Das hier gezeigte Tier litt an einer schweren Ohrenentzündung im linken Ohr, welches vermutlich zu einer Schonung des linken Kiefers beim Kauen geführt hat und dies wiederum zu den offensichtlichen Zahnproblemen. Ein häufiges und sehr schmerzhaftes Problem bildet dann auch das Wachstum der Zahnwurzeln in die Augenhöhle (Orbita) welches auf dem nächsten Foto gut erkennbar wird.

die Zahnwurzel wächst hier in die Augenhöhle ein

Ursachen und Vorbeugung

Schmerzen durch andere Primärerkrankungen

Mögliche Ursachen für solch ein pathogenes Zahnwachstum können unter anderem Schmerzen sein, die durch Entzündungen ausgelöst werden. Beispielsweise eine Otitis, wie in dem oben genannten Fall. Aber auch Futterreste die sich ins Zahnfleisch bohren, Haarrisse in den Zähnen die durch falsches Futter entstehen und zu Kieferentzündungen führen können und natürlich angeborene, also genetisch bedingte Anomalien.

Um Schmerzen vorzubeugen ist es immer ganz wichtig seine Tiere gut zu beobachten. Denn Kaninchen verbergen Schmerzen sehr sehr gut und viele Probleme werden erst sichtbar wenn es schon zu spät ist. Also Augen auf, beim futtern beobachten und wenn die Kaubewegungen irgendwie „falsch“ aussehen am besten direkt zum Tierarzt und die Zähne kontrollieren lassen.

Falsche Fütterung

Haarrisse in den Zähnen und falsche Kaubewegungen entstehen in den meisten Fällen durch falsches Futter. Leider hält sich immer noch das hartnäckige Gerücht das Kaninchen hartes Futter benötigen würden um ihre Zähne abzunutzen. Das ist absoluter Quatsch!!!
Kaninchen sind Folivore, also Blattfresser, sie benötigen blättriges Futter und die „Mümmle-Bewegung“ um ihre Zähne richtig abzunutzen. Hartes Futter wie Pellets, Brot, Brötchen, Knabberstangen, Erbsenflocken, Karotten, Wurzelgemüse etc. verursacht, durch die für Kaninen unnatürlichen Kaubewegungen und den ausgeübten Druck auf die Zähne, auf längere Zeit gesehen Zahnprobleme.

Um dem Vorzubeugen ist also die artgerechte Ernährung der Kaninchen mit Heu, Kräutern, blättrigem Gemüse und Salat die beste Möglichkeit Erkrankungen zu verhindern oder abzumildern.
Auf Dauer führt falsche Ernährung zu falschem Zahnwachstum – ist das Kind einmal in den Brunnen gefallen bleiben die Probleme oft lebenslang bestehen, lassen sich aber durch Umstellung auf artgerechtes Futter abmildern.

besonders Kaninchen mit kurzen Schädeln neigen zu Zahnerkrankungen

Genetische Faktoren

Genetisch bedingte, also angeborene Anomalien der Zähne und des Kiefers treten häufig bei Kaninchen von „Vermehrern“ auf, bei denen vor der Verpaarung nicht auf Physiologie und Genetik geachtet wurde oder sogar Geschwister miteinander verpaart wurden. Letztes kommt leider auch bei Züchtern vor, die Linienzucht betreiben um z. B. Zahnfehlstellungen in der Genetik aufzudecken. Bedauerlicherweise landen dann  auch diese vorbelasteten/aussortierten Tiere manches mal bei Liebhabern, die sich dann lebenslang um die Zahnprobleme ihrer Kaninchen kümmern müssen.

Ein weitere Problem bilden Züchtungen mit besonders kurzen Köpfen, sogenannte brachyzephale Schädel.
Weil viele Menschen den kurzen Kopf als so niedlich empfinden, werden Tiere gezielt so gezüchtet, obwohl es eigentlich nicht ihrer natürlichen Physiologie entspricht. Die Folgen sind häufig Zahnfehlstellungen welche sie zu lebenslangen Patienten beim Zahnarzt machen.

 

Behandlung

die Zahnwurzeln wachsen durch den Unterkieferknochen

Vor der Behandlung steht immer die Diagnose!

Zeigt das Kaninchen Auffälligkeiten, wie Fressunlust, Gewichtsverlust, ein nasses Kinn durch speicheln, offensichtliche Schmerzen oder Schwellungen im Kieferbereich, dauerhafter Nickhautvorfall, auffälliges Kauverhalten, Zahnverfärbungeneinseitiger Nasenausfluss oder ein tränendes Auge sollte dringend ein fachkundiger Tierarzt aufgesucht werden.

nicht immer sind Zahnprobleme so auffällig wie hier

Entscheidend für eine richtige Diagnose ist nicht nur der Blick ins Maul, der übrigens niemals mit einem Maulspreizer bei einem wachen (nicht sedierten) Kaninchen vorgenommen werden sollte, sondern auch die bildgebende Diagnostik mittels Röntgen oder CT. Wobei meist eine Röntgenaufnahme ausreichend ist um sich ein Bild von der vorliegenden Problematik machen zu können.
Das Röntgenbild ist deshalb wichtig weil viele Zahnprobleme beim Blick ins Maul nicht zu erkennen sind, schon aber im Röntgenbild.

In einigen Fällen nutzen sich die Zähnflächen der Backenzähne nicht richtig ab und verursachen Zahnspitzen, welche sich beim Fressen in die Zunge oder das Zahnfleisch bohren und Schmerzen verursachen. In solchen Fällen können die Zähne meist in einer relativ kurzen Behandlung abgeschliffen und angeglichen werden um den Kaninchen wieder ein schmerzfreies Fressen zu ermöglichen. Das Schleifen der Zähne muss je nach Krankheitsbild regelmässig wiederholt werden.

Sind die Schneidezähne, wie auf diesem Bild, stark einseitig abgenutzt, liegt das Problem nicht an den Schneidezähnen sondern irgendwo anders im Kiefer. Dieses Tier hat schon lange Zeit einseitig gekaut wodurch sich die Schneidezähne schief abgenutzt haben. Hier ist ein Röntgenbild unerlässlich um das Problem zu eruieren.

die Zahnwurzeln des Oberkiefers wachsen in die Augenhöhle

Auf diesem Röntgenbild z. B. erkennt man sehr gut wie die Zahnwurzeln bereits in die Orbita, die Augenhöhle hinein wachsen. Ein Krankheitsbild das sehr schmerzhaft sein dürfte.

Die Behandlung ist in jedem Fall mit dem behandelnden Tierarzt abzusprechen. Sollte dieser nicht kaninchenkundig  sein oder nicht auf Zahnprobleme spezialisiert lässt man sich am besten einen Spezialisten empfehlen, der Profi in Sachen Kaninchen-Zähne ist.

Sind bereits Entzündungen und Abszesse im Kiefer entstanden muss der betreffende Zahn extrahiert, also gezogen werden. Zieht man einen Zahn fehlt natürlich auf der gegenüberliegenden Seite der Antagonist, der wichtig für das gleichmässige Abnutzen der Zähne ist. Es sollte individuell entschieden werden ob man den gegenüberliegenden Zahn direkt mit zieht oder ihn sehr regelmässig abschleifen lässt.

Da Zahnprobleme ernsthafte, lebensbedrohliche, manchmal schwer zu behandelnde und langwierige Erkrankungen bei Kaninchen darstellen, sollte man sich realistisch mit der Prognose auseinandersetzen und abwägen wie  aussichtsreich eine Behandlung bzw. Operation ist oder ob es sinnvoller ist das Tier zu erlösen.

 

überlang wachsende Schneidezähne im Unterkiefer durch einen Unterbiss

Ein häufiges Fehlwachstum bei Kaninchen betrifft die Schneidezähne. Wenn diese durch eine pathologische Anatomie des Tieres nicht direkt aufeinander treffen und sich dementsprechend nicht richtig abnutzen können, wachsen sie manchmal unglaublich lang und man fragt sich wie das Tier überhaupt noch hat Fressen können.

Ein Kaninchen mit einem Über- oder Unterbiss wird regelmässiger Zahnkürzungen bedürfen. Leider gibt es immer noch Halter und manchmal sogar Tierärzte die die Zähne mit einem Seitenschneider kürzen, weil es schnell geht und Geld spart.

Das ist ein abolsutes NO GO!!

Werden die Zähne mit einem Seitenschneider gekürzt besteht ein hohes Risiko das Haarrisse im Zahn entstehen, durch die Bakterien in den Kiefer eindringen und Entzündungen verursachen. Im schlimmsten Fall kann der Zahn splittern und ernsthafte, schwer zu behandelnde und schmerzhafte  Verletzungen verursachen.

Zu lange Schneidezähne sollten vom Tierarzt unter Narkose mit einer Diamantscheibe gekürzt werden.
Für die Backenzähne gibt es entsprechende Diamanschleifer, die dem Tierarzt ein exaktes Kürzen und angleichen der Kauflächen ermöglichen.

 

nach dem Kürzen der Zähne kann das Tier wenigstens wieder fressen

Nach dem Kürzen der Zähne fressen die meisten Kaninchen fast sofort wieder richtig. Ein fachkundiger Tierarzt wird das Tier nach der Behandlung und dem Aufwachen auch erst nach Hause entlassen wenn es wieder gefressen hat.

In den meisten Fällen muss man mit Folgebehandlungen rechnen, da Zahnprobleme in fast allen Fällen chronisch und nicht heilbar sind.

Bei jedem Kaninchen ist selbstverständlich auf die richtige Ernährung zu achten und bei Zahnis erst recht!
Ganz besonders nach einer erfolgten Behandlung ist es wichtig das Tier beim fressen zu beobachten. Hat es Schmerzen? Frisst es ausreichend? usw.
Gegebenenfalls muss das Futter klein geschnitten oder gehäckselt werden damit der kleine Patient es fressen kann.

Fazit:

  • bei Verdacht auf Zahnprobleme sofort zum fachkundigen Tierarzt
  • auf einem Röntgenbild bestehen
  • die weitere Behandlung mit dem Tierarzt besprechen
  • regelmässige Kontrollen und Nachbehandlungen einhalten
  • NIEMALS die Zähne auf eingene Faust mit dem Seitenschneider kürzen!
  • auf richtige, also blättrige Ernährung achten